Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 05.01.2015
Steinwürfe aus dem Glashaus - Alle lügen außer Pegida?
Alle lügen außer Pegida? Von wegen: Auch diese Bewegung arbeitet gezielt mit falschen Tatsachenbehauptungen.
Auch am 22. Dezember behaupteten Pegida-Anhänger „Wir sind das Volk“. Das ist falsch. Sie sind zwar viele. Doch selbst die 17500 Demonstranten auf Dresdens Theaterplatz – von denen zudem viele aus anderen Regionen kamen – machten drei Prozent der Dresdner Bevölkerung aus. Republikweit stellt Pegida eine noch kleinere Minderheit dar.
Streit ist lebenswichtig. Ohne Streit und Auseinandersetzungen herrschen Stillstand und Stagnation, gibt es keine Veränderungen und Fortbewegungen. Doch zum Streit gehört auch die Tugend des Zuhörens, zum Austeilen können das Einsteckenmüssen, zur Kritik die Selbstkritik. Fähigkeiten, die vielen Menschen beim Streiten ungeheuer schwerfallen. Sie streiten anders: Was ihren Auffassungen widerspricht, wird kurzerhand zur Lüge erklärt. Wie wirkungsvoll solche Verleumdungen sein können, lässt sich seit Wochen auch bei den Kundgebungen und Märschen der asylpolitikkritischen Bewegung Pegida beobachten. Für viele von deren Wortführern und für etliche Anhänger gilt: Wer ihren Auffassungen widerspricht, der lügt.
Für viele Pegida-Sympathisanten sind die Lügner folglich überall: „Die Politik“ lügt, „die Medien“ lügen, die Gegner lügen. So einfach kann man es sich machen. Doch so einfach ist das nicht. Tatsächlich arbeiten viele Führer und Mitglieder der Bewegung selbst regelmäßig und gezielt mit der massenhaften Verbreitung von Unwahrheiten – und belügen damit auch ihre eigenen Anhänger. Hier eine kleine, belegbare Auswahl solcher Behauptungen aus den letzten Wochen:
Behauptung: In Berlin wurden aus Rücksicht auf Muslime schon Weihnachtsmärkte in Wintermärkte umbenannt.
Fakt: Kein einziger Weihnachtsmarkt wurde umbenannt. Es gibt lediglich einen „Wintermarkt“ bzw. das „Winterfest am Mehringplatz“, das 2012 schon unter diesem Namen gegründet wurde. Es stellt sich nicht in die Weihnachtsmarkt-Tradition, sondern in die der Frühlings-, Sommer- und Herbstfeste und -Märkte.
Behauptung: In Südfrankreich gibt es schon mehr Moscheen als Kirchen.
Fakt: In Südfrankreich gibt es so viele Kirchen wie in kaum einer anderen Region weltweit, wesentlich mehr als Moscheen, und damit mehr als genug für die dort lebende christliche Mehrheit. Doch muslimischen Zuwanderern stehen nicht genug Moscheen zur Verfügung. Deshalb werden dort mehr neue Moscheen gebaut als neue Kirchen – darauf bezieht sich die Statistik.
Behauptung: Anders als in Deutschland wird in Auslandsmedien ohne Wertung oder sogar positiv über Pegida berichtet.
Fakt: In ausländischen Medien erhält Pegida genau so Zustimmung und Ablehnung wie in deutschen. So kritisiert etwa der britische Guardian Pegida als „entstehende Anti-Ausländer-Kampagnengruppe“, wertet die französische Libération die Bewegung als Zeichen für eine „Krise der Intoleranz in Deutschland“.
Behauptung: Bei einer Diskussion der Landeszentrale im November hätten linke Schläger auf Pegida-Abgesandte gewartet.
Fakt: Bei der Debatte am 3.12. über das „Abendland“ hat kein einziger Schläger gelauert. Stattdessen waren mehrere Pegida-Sympathisanten anwesend, haben mitdiskutiert, wurden angehört und respektiert.
Behauptung: Bei der Pegida-Demo am 8. Dezember hat der Freistaat Sachsen Gegendemonstranten bezahlt.
Fakt: Der Freistaat hat keinen Gegendemonstranten bezahlt. Er hat eine Agentur beauftragt, Helfer zu finden, die für zehn Euro pro Stunde Sachsen-Ballons aufblasen und verteilen.
Behauptung: Dass Angehörige der IS am 16. Dezember 2014 in einer Schule in Pakistan über 140 Menschen getötet haben, war in den Medien nur eine Randnotiz.
Fakt: Die Mehrheit der Medien hat über das Attentat in großen Artikeln berichtet. Das Verbrechen wurde auch nicht von dem IS begangen, sondern von den Taliban.
Behauptung: Der SZ-Autor eines Artikels über das kriminelle Vorleben eines Pegida-Mitgründers war einst beim „Neuen Deutschland“ beschäftigt.
Fakt: Der betreffende Redakteur hat niemals für das ND gearbeitet.
Behauptung: „Die Presse“, auch die SZ, setzt sich inhaltlich weder mit den Problemen der Asylpolitik noch mit den Zielen der Pegida auseinander.
Fakt: Die Probleme der Asylpolitik werden in den Medien seit Jahren thematisiert. Das hat seit dem Beginn der Pegida-Bewegung und durch sie noch an Intensität zugenommen. Mit den Forderungen und Motiven der Pegida-Bewegung setzen sich viele Medien ebenfalls intensiv auseinander, darunter auch die Sächsische Zeitung.
Behauptung: Wir sind das Volk.
Fakt: Zur bisher größten Pegida-Veranstaltung versammelten sich am 22. Dezember 17 500 Anhänger in Dresden. Das sind 3,3 Prozent der Dresdner. In Deutschland gibt es über 30 Millionen Facebook-Nutzer. 101 000 davon (Stand von gestern) sind Pegida-Fans. Die Anti-Pegida-Petition im Internet hat bisher über 290 000 Unterzeichner. Pegida-Ableger in anderen Städten bringen jeweils maximal ein paar Hundert Menschen auf die Straße. Kurz: Pegida hat viele Anhänger, sie sind aber bisher eine kleine Minderheit und also nicht „das Volk“.
Behauptung: Die Pegida demonstriert friedlich und gewaltfrei für ihre Ziele.
Fakt: Das ist richtig in Bezug auf körperliche Gewalt, nicht aber in Sachen verbaler Gewalt (was indes ebenso für Teile der Pegida-Gegner gilt). Vielmehr sind etliche Pegida-Reden, -Plakate und -Sprechchöre voller Beleidigungen und Bedrohungen von Andersdenkenden („Linksfaschisten“, „Weg mit dem Dreck!“, „Gnade Euch Gott!“, „Fotze!“). Wirklich durchweg „friedlich“ geht es auf Pegida-Veranstaltungen und erst recht in -Internetforen mitnichten zu.
Behauptung: „Die Presse“ bezeichnet Pegida kollektiv als Nazis oder „Rechte“.
Fakt: Solche falsche Pauschalurteile sind nur anfangs und fast nur in überregionalen Presseorganen verbreitet worden. Auch heute geschieht das vereinzelt in linken Gesinnungsmedien. Doch das Gros der Presse – darunter auch die SZ – hat die Pegida-Anhänger nie kollektiv als Nazis oder Rechte bezeichnet. Jedoch hat sie darauf hingewiesen, dass es in deren Reihen unter anderem auch Nazis und Rechte gibt.